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Reflections

Auf dieser Seite wird in loser Folge etwas Aktuelles stehen. 


Mārgam

Mārgam ist die traditionelle Bezeichnung für das abendfüllende Repertoire des indischen Tanzstils Bharatanatyam. Es besteht aus einer Abfolge choreographisch unterschiedlicher Stücke. Die Strukturierung des Mārgam-Repertoires ist das Meisterwerk des Tanjore-Quartetts - vier Gebrüder am Hofe des Königs von Tanjore (Tanjavur) im 18. Jhdt. Als Meister des Tanzes und der Musik, und Gelehrte, entwickelten sie eine Reihe choreographischer Strukturen wie Alarippu, Jatiswaram, Varnam, Tillana, und so forth, woraus der heute als Bharatanatyam bekannte Bühnentanz entstand.

In der Progression der choreographischen Strukturen von kurzen zu längeren Stücken mit variierenden rhythmischen und narrativen Mustern ist ein wohlbedachtes dramaturgisches Konzept erkennbar. Aus der performativen Perspektive führt eine solche Progression in die Tiefe der Gefühlswelt hinein. Es basiert auf einer Jahrtausende alten Praxis der darstellenden Kunst, schriftlich festgehalten in der zum 3. Jhdt v. Ch. zurückführenden ö Nātyaśāstra. Diese weit in die Vergangenheit reichende Praxis weist zugleich einer zeitgemäßen Veränderbarkeit auf, die der indischen darstellenden Kunst Nāṭya seit eh inhärent erscheint.

Historisch gesehen erkennt man in dem so entstandenen Mārgam-Repertoire eine Tanztradition, die sowohl in den Tempeln und Tempelfesten Südindiens wie auch an den Höfen oder auch, aus heutiger Sicht, in Literatursalons vorhanden war. Der Inhalt der Choreographien reicht von tief spirituellen Erkenntnissen bis hin zu profanen Erzählungen von Liebe und Sehnsucht, von Freude und Schmerz, und vielem mehr.

Das Erlernen und Präzisieren des Mārgam-Repertoires verhilft den Darstellenden zugleich zu immer mehr Verfeinerung der tiefen Ausdruckfähigkeit. In Anbetracht der Wortbedeutung – Mārgam bedeutet Pfad oder Weg – erweist sich das Repertoire essenziell als ein Weg der Transformation.

Diese jüngste Verkörperung des Nātyas, die weiter im Wandel sich befindet, hat in der Zwischenzeit Weltbühnen erobert. Und wird auf immer neuen Körpern geschrieben, wie in der 40-jährigen Arbeit von Rajyashree Ramesh besonders zu erkennen ist. Seit 1979 baut die Tänzerin, Choreographin, Lehrmeisterin und Bewegungsforscherin in Berlin die Praxis des Bharatanatyams durch ihre tiefgründige Erkenntnisse und Weiterforschung des Tanzes mit besonderem Augenmerk auf das universellen Konzept des Nāṭyas stets aus (www.rr-dance.net). Hierin ist sowohl Veränderung als auch Kontinuität reflektiert. An ihrem eigenen Academy for Performing Arts haben in den letzten drei Jahrzehnten sämtliche Tänzerinnen mit unterschiedlichster Herkunft mehrjährige Bühnentanzausbildungen abgeschlossen. Seit 8 Jahren entwickelt sie ihr Ausbildungsprogramm am Global Music Academy Berlin weiter, und führt immer mehr Interessenten aus der ganzen Welt mithilfe ihres einzigartigen bewegungsanalytisch-faszialen Ansatzes in die transformierenden Eigenschaften des Mārgams ein.


Tanz -Theater-Bewegungslehre-Bewegungswissen-Form-Emotionen-Inhalt

Auch wenn der Inhalt der in Indien gepflegten und praktizierten Tanzformen meist historisch bedingt ist, steht im Mittelpunkt deren Ausübung eine explizite, ausgefeilte Körperarbeit. In der Form ist nämlich ein tiefgründiges Wissen über die physischen, emotionalen und mentalen Eigenschaften von Bewegung zu erkennen. Die Tanzpraxis berücksichtigt zudem die Relevanz der Emotionen und deren physischen Manifestationen. Die Darstellungstechnik, verfeinert für das Hervorrufen von Gefühlsempfindungen, bildet einen wichtigen Eckpfeiler des klassischen indischen Tanzes. Das Vokabular ist somit zugleich Tanz und Theater, Tanzkunst und Tanz-/Theaterwissenschaft, was mit den modernsten Erkenntnissen aus Bewegungs- und Emotionsforschung im Einklang steht. Insofern, auch wenn Inhalt und Form in der praktizierten Tanztradition sich gegenseitig bedingen, ist für ein zeitrelevantes Verständnis wichtig, diese in deren jeweiligen Funktionen zu unterscheiden, zumal diese Bewegungskunst viel zu oft sehr einseitig als entweder exotische Ethnizität, Folklore oder Spiritualität und nicht als eine allumfassende Bewegungslehre verstanden wird, die Kreativität, Kunst, Wissenschaft, Präzision, Anmut, Gefühle und nicht zuletzt die Kraft der Bewegung zusammenfügt.

Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht daher ein strukturierter Bewegungsaufbau aus den unterschiedlichsten Perspektiven basierend auf dem Verständnis, dass diese Tanzpraxis das inh�rente, in jedem Menschen vorhandene Bewegungswissen zu Tage trägt. Eine Bewegungskunst, die Kraft, Ausdauer und Konzentration fördert und aus den kleinsten subtilsten Bewegungen große Bewegungsabläufe aufbaut. In diesem systematischen Aufbau sind eine Tiefenerfahrung als auch die Bewegungsklarheit und Ausdrucksstärke einer darstellenden Kunst möglich, als organischer Prozess einer individuellen, in �real-time' entfaltenden Bewegungserfahrung.

Rajyashree Ramesh

 

Rajyashree Ramesh, klassischer indischer Tanz